Stolze Fussball Woche – Football Pride Week vom 5. bis 9. Oktober in Berlin
Was vor einem Jahr in Zürich noch ein normales QFF-Treffen war ist vergangene Woche zu einem veritablen Grossanlass namens «Football Pride Week» herangewachsen. Als die «Fussballfans gegen Homophobie» seinerzeit in Düsseldorf als Ausrichter der QFF-Herbstkonferenz gewählt wurden, ahnten wir schon, dass das Treffen in Berlin eine grosse Sache werden könnte. Mit gegen 200 Teilnehmenden und einem Kongressprogramm über drei Tage zeigten uns die Berliner*innen, was eine Harke ist. Aber der Reihe nach.
Schon am Mittwoch durfte mit einem Grill-Abend im Haus der Fussballkulturen beim Fanprojekt Berlin der erste Programmpunkt abgearbeitet werden. Die herzliche Begrüssung und die leckere Verpflegung (wie übrigens während der ganzen folgenden Tage!) boten einen gelungenen Rahmen alte Freunde zu treffen und schon erste neue Kontakte zu knüpfen. Schön, dass schon am ersten Abend so viele QFF-Vertreter*innen mit dabei waren, wobei wir Freud und Leid des Abstiegs mit den Stuttgartern ausführlich erörtern konnten…
Am Donnerstag startete die eigentliche Konferenz, charmant von Nicole Selmer vom österreichischen Magazin Ballesterer moderiert. Mit zwei Input-Referaten zu Struktur und Ausprägung von Homophobie und Sexismus im Fussball und möglichen Gegenstrategien wurden die rund 100 Teilnehmenden am ersten Tag schon gut gefordert. Ort der Tagung war die Bundesgeschäftsstelle der Gewerkschaft ver.di – für Schweizer Verhältnisse eine doch recht grosse Geschäftsstelle. Neben einigen QFF-Vertreter*Innen, Mitarbeitenden aus Fanprojekten in Deutschland und Österreich waren unter anderem auch Andreas Rettig, Geschäftsführer des FC. St. Pauli und Alexander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC Köln mit dabei. Und das nicht nur als Grüssaugust – beide haben sich engagiert in die am Nachmittag folgenden Workshops eingebracht. Warum war eigentlich niemand von den Schweizer Fanprojekten in Berlin dabei? In vier Gruppen wurde die Arbeit von Verbänden und Vereinen zur Thematik kritisch Beleuchtet und Ansätze für zukünftige Verbesserungen formuliert. Selber konnte ich bei der Runde zur Tätigkeit der Fussballverbände erleben wir aktiv und offen sich alle Teilnehmende von deutschen Landesverbänden, dem DFB und der DFL einbrachten und sogar die eine oder andere konkrete Absicht mit nach Hause nahmen. Auch wenn sich dabei die Ausgangslage nicht eins zu eins auf die Schweiz übertragen lässt, sind viele Anregungen, Ideen und vor allem Kontakte auch für uns Eidgenossen äusserst hilfreich. Ein feines Abendbuffet beendete den ersten Konferenztag. Über die anschliessenden Erlebnisse im Berliner Nachtleben gibt es leider keine gesicherten Erkenntnisse.
Ganz dem internationalen Fan-Engagement war der zweite Konferenztag gewidmet. Entsprechend wechselte die Konferenzsprache am Freitag zu Englisch und die zu bohrenden Bretter erschienen mit Themen wie WM in Russland und Katar unendlich dick. Umso erfreulicher, dass in Berlin erstmals auch Vertreter*innen aus Ländern wie Russland, der Türkei, Mexico und den USA mit dabei waren. Das Podium zum Auftakt gab insbesondere spannende Einblicke in die Situation der US/Kanadischen Major League Soccer (MLS). Lexi Stern, Supporter der Portland Timbers, schildert eindrücklich die bemerkenswert positive Entwicklung im Nordamerikanischen Fussball.
Am Freitagabend stand der fünfte Geburtstag von «Fussballfans gegen Homophobie» im Zentrum. Entstanden als mehr oder minder spontane Aktion der aktiven Fans von Tennis Borussia Berlin hat sich daraus inzwischen ein fast weltweites Label für Fanaktionen gegen Homophobie – nicht nur im Fussball – entwickelt. Die gute Stimmung beim Empfang im goldenen Saal des Rathaus Schöneberg konnte auch durch die etwas angestrengten Grussreden der lokalen Politik nicht ernsthaft gemindert werden. Herzliche Gratulation an Christian, Martin und Torsten und natürlich alle anderen Mitstreiter*innen, die Fussballfans gegen Homophobie ins Leben gerufen haben. Zurecht wurde der Aktion vom DFB auch der Julius Hirsch verliehen (siehe separaten Artikel dazu). Übrigens – den ersten Auftritt in einer obersten Liga hatte das Banner seinerzeit im Letzigrund bei einem Match FCZ gegen BSC YB. Wir sind schon es bitzeli stolz, dass wir mit zu den ersten gehörten, die das Banner ins Stadion brachten. Und auch froh, dass wir damals gerade Nati A spielten…
Am Samstag war nun QFF-Tag. Schon traditionell stand vormittags die Programmalternative Workshop oder Kultur zur Auswahl. Der Schreibende hat sich für das Freizeitprogramm entschieden, welches auf einer kleinen Fussballroute die überraschende Berliner Fussballgeschichte erzählte. So war das Tempelhofer Feld mit der erste Ort in Deutschland überhaupt, wo organisiert Fussball gespielt wurde. Beim nächsten Besuch in Berlin unbedingt etwas Zeit für die wirklich gut editierten Fussballrouten einplanen!
Während wir also der Berliner Fussballhistorie nachwanderten, wurde die Konferenz im ver.di Gebäude mit Roman Neustädter von einem unerwartet erfreulichen Besuch überrascht. Roman, der im Netz immer wieder homophob verspottet wurde und sich unlängst klar dazu positioniert hatte, zeigte mit seiner Teilnahme an den Workshops, dass sein Support für einen offenen und diskriminierungsfreien Fussball mehr als nur schöne Worte sind. Als derzeitiger Spieler von Fenerbahçe Istanbul und der russischen Nationalmannschaft weit mehr als nur eine sympathische Geste!
Die QFF-Vollversammlung am Nachmittag beinhaltete für einmal keine diskussionsintensiven Traktanden. Insbesondere die Kreativ AG hat wieder zugeschlagen und mit neuen T-Shirts und einem Riesen-Banner das Promo-Repertoire von QFF erweitert. Internationale Premiere hatte der Film «Junxx» von Diana Küster über die drei Schweizer QFF-Fanclubs, der je einen Protagonisten der drei Fanclubs ins Zentrum rückt und einen kleinen Einblick ins letztjährige QFF Treffen in Zürich vermittelt.
Die Abschlussparty im SchwuZ – welche für einige fast nahtlos in den Abschluss-Lunch am Sonntag überging – war der fliessende Schlusspunkt einer sehr gelungenen Football Pride Week. Vielen Dank an das ganze Berliner-Team für die tolle Organisation und die stets herzliche und zuverlässige Begleitung der ganzen Konferenz. Es war saugeil bei euch!
Absolutes Schluss-Highlight war der Kantersieg von Tennis Borussia in der zweiten Runde des Berliner Pokals gegen Hilalspor. Dass das 3:0 erst im Elfmeterschiessen glorreich erkämpft wurde, tut hier nichts zur Sache. Und einen Torhüter, der alle Schüsse abwehrt und den ersten Elfmeter selber versenkt, muss man erst mal haben.
Marcel Tappeiner, 10. Oktober 2016
Ergänzende Links:
Website Football Pride Week Facebook Site Vice Interview mit Roman Neustädter Bericht in der taz TEBE Kantersieg Fussball Routen Berlin
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